Die Zeit läuft: Bereits steht der letzte europäische Weltcup vor der Tür. Die Anreise dauert nicht besonders lange, denn der Weltcup findet unweit der Schweizer Grenze in Les Gets (FRA) statt, auf rund 1500 m.ü.M und in einer schönen hügeligen bis bergigen Landschaft, im Département Haute-Savoie. Die Wetteraussichten sind rosig: Nur Sonne – ab und zu ein paar kleine Wölkchen – und warm!
Letztes Jahr wurden dort die Weltmeisterschaften durchgeführt, weshalb ich letztmals und erstmals 2021 auf dieser Strecke Rennen fuhr. So kann ich bei der ersten Streckenbesichtigung mit Freude feststellen, dass ich in den vergangenen zwei Jahren technisch Fortschritte gemacht habe. 😊
Aufgrund fehlender Punkte im UCI-Ranking bin ich freitags beim Shorttrack leider immer noch zum Zuschauen gezwungen. So kann ich dafür meine Teamkollegen vom Streckenrand anfeuern, und das Rennen live mitverfolgen. Wenn ich selber Rennen fahre, bekomme ich nur mit, was um mich herum passiert – wenn überhaupt. Hat also auch Vorteile, auch wenn ich viel lieber beim Shorttrack teilnehmen würde… 😉
Beim Training am Samstag auf der Strecke halte ich besonders Ausschau nach alternativen Linien, welche mir beim Rennen in der Startphase ermöglichen sollen, dem Stau zu entkommen.
Am Morgen sorgt Tau noch für etwas nasses und rutschiges Gras, denn die Rennstrecke befindet sich auf der Schattenseite. Sonst herrschen aber staubige Bedingungen. Nach einem Schlammrennen in 2021 freue ich mich nun auf ein Rennen bei trockenen Verhältnissen!
Genau diese staubigen Bedingungen sorgen sonntags zu Beginn des Rennens für Probleme. Auch wenn ich mir fest vorgenommen habe, aggressiv zu starten und möglichst schnell Plätze gutzumachen, gelingt mir dies nicht. Beim Start wird von all den Fahrerinnen vor mir so viel Staub aufgewirbelt, dass ich kaum etwas sehe. So stehen auf einmal einige Fahrerinnen vor mir still, die sich im Absperrgitter verheddert haben. So bin ich nach wenigen Sekunden bereits Allerletzte und darf eine Aufholjagd starten.
Oder sagen wir es einmal so: Ich wünschte, ich hätte zum erfolgreichen Pac-Man-Spiel ansetzen können. Ich investiere viel, um etwas weiter nach vorne zu kommen. Etwas später, Ende des breiten Anstiegs nach dem Start, befinde ich mich hinter Jolanda Neff. Nur ist dies heute leider kein besonderes Erfolgserlebnis, denn es scheint so, als ob sie auch keinen guten Start erwischt hat. Ich konnte unterdessen zwar ein paar Fahrerinnen überholen, doch bei der ersten Abfahrt erwische ich eine Linie, wo es weniger schnell vorwärts geht als bei anderen. So befinden sich zuvor überholte Fahrerinnen wieder vor mir. Beim Drop im Wald gibt es Stau. Auf diesen war ich vorbereitet und möchte die B-Linie – etwas langsamere, dafür einfachere und meist weniger befahrene Linie – fahren, um Fahrerinnen überholen zu können, die anstehen. Nur leider stehen sie mir im Weg, sodass ich gar nicht zur B-Linie gelange und mich im Stau wiederfinde. Sobald ich durchkomme, wähle ich trotzdem die B-Linie, welche mir nun aber nicht mehr so viele Vorteile bringt. Eine oder zwei Fahrerinnen konnte ich aber evt. überholen. Im zweiten langen Anstieg sehe ich nach einer Spitzkehre, dass nach mir nicht mehr viele Fahrerinnen folgen…
Ich weiss allerdings, dass ich auch schon gute Resultate herausfahren konnte, auch wenn ich am Anfang weit hinten war. Nur machen diesmal die Beine nicht mit. Normalerweise versucht man, sobald man überholt wird, mit dieser Person mitzufahren, doch auf diese Idee komme ich aktuell gar nicht, weil ich schlicht und einfach nicht fähig dazu bin. Von Jolanda ist übrigens schon lange nichts mehr zu sehen, die unterdessen auf und davon ist. In meinem zwar langsamen, dafür aber konstanteren Tempo mag ich trotzdem noch die eine oder andere Fahrerin, welche einbricht, einzusammeln.
Das coole an dieser Strecke ist, dass sie zwei kleinere Runden enthält, welche immer wieder aneinandergrenzen. Wenn die Spitze beispielsweise über die Brücke fährt und ich unten durch, bekommt man auch mit, wie die Fans toben. Doch die französischen Fans machen auch für die Fahrerinnen etwas weiter hinten Stimmung. So fahre ich beim zweiten langen Anstieg unter der Brücke hindurch und komme zum steilen Anstieg im Wald, wo Musikboxen dröhnen und die Fans rufen: „Push, push, push!“
Als ich auf die zweitletzte Runde gehe, sehe ich, dass es knapp werden könnte mit der 80%-Regel, welche verhindern soll, dass es Überrundungen gibt. Dementsprechend versuche ich das Tempo nochmals etwas zu erhöhen, als wäre es meine letzte Runde. Ich fühle mich langsam minimal besser.
Bei den letzten langen Gras-Geraden vor dem Ziel sehe ich, dass bereits ein Funktionär bei der Zone steht, wo die zu langsamen Fahrerinnen aus dem Rennen genommen werden. Ich stelle aber fest, dass alle noch durchfahren können. Ich gebe noch einmal alles. Genützt hat es ganz knapp nichts: Nur wenige Sekunden bin ich zu langsam und darf nicht mehr auf die letzte Runde gehen. Fahrerinnen rund 5-10 Meter vor mir dürfen noch weiterfahren…
Das Resultat, ein 48. Rang, ist mehr als nur enttäuschend. Erstmals seit zwei Jahren werde ich beim Weltcup aufgrund der 80%-Regel frühzeitig aus dem Rennen genommen. Eigentlich glaubte und hoffte ich, dass ich mich nicht mehr mit dieser Regel herumschlagen muss … Doch es ist nicht einfach das Resultat das schlecht ist. Rennen fahren ist hart – physisch als auch mental – schliesslich geht man normalerweise an oder über seine Grenzen. Dafür wird idealerweise ein sehr intensiver Flowzustand mit viel Adrenalin erreicht und mit der Stimmung am Streckenrand beginnt das Leiden Spass zu machen… Doch aktuell erreiche ich diesen Flow einfach nicht an den Rennen, und es ist immer ein K(r)ampf.
Wir arbeiten mit Hochdruck daran, herauszufinden, was das Problem ist und dass sich dies noch vor Ende dieser Saison ändert, denn es stehen noch Rennen auf dem Programm.
Kommentieren