Ein paar Tage nach dem Weltcup in Leogang (AUT) erwischte mich eine etwas hartnäckigere Erkältung, weshalb ich gleich zwei Rennen auslassen muss: Den Swiss Bike Cup in Savognin sowie der Weltcup in Val di Sole (ITA). Zwar wäre ich am Wochenende des Weltcups wieder gesund gewesen. Jedoch war es einerseits zu spät für die Anreise, und andererseits wäre das Risiko eines Rückfalls zu gross gewesen. Noch vor der Abreise nach Portugal mache ich gewisse Intensitäten, um zu testen, wie der Körper nach der Erkältung darauf reagiert und um ihn wieder aus dem Schlafzustand zu holen. Die Intervalle verlaufen gut, was mich zuversichtlich stimmt für die Shorttrack- und Team-Relay-Europameisterschaften (XCC und XCR) in Anadia (PRT).
Am Dienstag kurz vor Mitternacht (WESZ) erreichen wir unsere Unterkunft. Am Mittwoch herrscht ein dichtes Programm: Am Morgen besichtigen die Fahrerinnen von Swiss Cycling gemeinsam die XCC (Shorttrack) Strecke. Direkt nach dem Mittagessen geht es schon wieder zum Renngelände für die XCR- bzw. XCO-Streckenbesichtigung. Die Strecke besteht hauptsächlich aus losem Mergel. Dementsprechend rutschig ist sie. Nebst einem Gap (Sprung mit Lücke bis zur Landung), diversen kleinen Sprüngen und Rockgarden, enthält die Strecke v.a. viele Kurven. Zu Beginn der Runde gibt es etliche kurze und teilweise sehr steile Anstiege. Danach dominieren die Kurven. Nach der Streckenbesichtigung gönne ich mir noch ein Eisbad. Denn gefühlt wurde es schon ziemlich warm an der Sonne, auch wenn der Wetterbericht nicht besonders hohe Temperaturen gemeldet hat. Etwas abgekühlt darf ich mich noch bei einer Physiotherapeutin behandeln lassen und kann so zum Ende des Tages entspannen, damit ich morgens möglichst viel Energie habe.
Am ersten Renntag werden vor dem Warm-up der Beinmuskulatur noch diverse Vorkehrungen getroffen, um nicht zu überhitzen und die Körpertemperatur möglichst tief halten zu können. Zum Warm-up ziehe ich mir deshalb eine Kühlweste über. Trotz allem wird es aber warm. Nach dem Start kann ich mich nicht wie gewünscht positionieren und befinde mich nur ungefähr an 10. Position.
Mitte der ersten Runde lassen bereits erste Fahrerinnen vor mir von der Spitze abreissen. So entstehen Lücken, welche ich zuerst wieder zufahren muss. Schon von Anfang an wird ein hohes Tempo angeschlagen.
Bei jeder Kurve gibt es den sogenannten Handorgel-Effekt. Je weiter hinten man sich im Feld befindet, desto mehr muss wieder in die Pedale getreten werden, um den Anschluss nicht zu verlieren. Währenddessen können die vordersten Fahrerinnen vergleichsweise relativ „gemütlich“ um die Kurve fahren. So verbrauche ich schnell zu viel Energie und kann irgendwann die Lücke nicht mehr zufahren.
Eine Zeit lang fahre ich um zwei Österreicherinnen. Als ich auch diese Hinterräder nicht mehr halten kann und von hinten keine Gefahr droht, nehme ich nach einem Zuruf vom Swiss Cycling Staff Tempo raus, um mich für das Team-Relay vom nächsten Tag zu schonen.
Bitter enttäuscht fahre ich an 10. Position über die Ziellinie. Es scheint, als ob ich nach der Erkältung doch noch nicht bereit bin für solche Intensitäten. Der Plan war auf jeden Fall ein ganz anderer, und ich habe mir deutlich mehr erhofft… Nach der Enttäuschung an der EM in München im letzten Jahr endet auch das zweite Rennen an internationalen Titelkämpfen weit unter meinen Erwartungen. Immerhin erhalte ich am nächsten Tag bereits die nächste Möglichkeit mit dem Team-Relay.
Das Team-Relay entspricht einer Staffel, nur fahren wir nicht mit einem Stab herum, sondern es reicht zur Übergabe ein Handschlag in der Wechselzone. Normalerweise starten pro Nation 3 Frauen und 3 Männer, jeweils aus der Kategorie U19, U23 und Elite. Dabei darf jede Nation selbst die Reihenfolge der FahrerInnen wählen. Mit dem Team haben wir entschieden, dass ich an vierter Stelle starten werde. Jede Person fährt eine Runde auf der XCO-Strecke. Die Nation, deren letzte FahrerIn zuerst die Ziellinie überquert, hat gewonnen.
Zwar handelt es sich um einen Team-Event, doch die FahrerInnen eines Teams erscheinen gestaffelt zum Renngelände und starten zu ganz unterschiedlichen Zeiten mit dem Aufwärmen. Geht eine Runde doch länger – rund 10-15min – als bei bspw. der Einsatz bei einer 4x100m Staffel in der Leichtathletik, bei welcher alle zur selben Zeit am Start sein müssen. So bin ich noch beim Warm-up, während Thomas Litscher als erster Fahrer für die Schweiz bereits mit den anderen Startfahrern auf die Strecke geschickt wird. Der Start gelingt wie gewünscht: Thomas Litscher (Elite) übergibt praktisch zeitgleich wie Spanien an erster Position an Nicolas Halter. Unterdessen komme ich vom Warm-Up zurück und fahre noch etwas im Swiss Cycling Zelt auf der Rolle ein. Nicht, dass ich noch meinen Einsatz verpasse. Beiläufig erhalte ich noch Tipps und Infos über den Rennverlauf vom Swiss Cycling Staff, welcher via Funk verbunden ist. Zudem kann ich das Rennen von weitem etwas verfolgen. Spanien setzt sich an die Spitze und übergibt 2s vor Dänemark. Ginia Caluori übernimmt an 4. Position, 13s hinter Frankreich. Ich schnappe mir eine neue Kühlweste, begebe mich zum Vorstart und fahre weiter auf der Rolle, bis Ginia erstmals durch die Tech-/Feed-Zone fährt.
Nochmals erhalte ich Wasser und Eis zum Kühlen. Die Lufttemperatur solle zwar nur um 28°C sein, doch die Sonne brennt vom Himmel auf die iberische Halbinsel. Ginia arbeitet sich unterdessen stetig nach vorne, wie mir mitgeteilt wird. Ich beziehe am Gitter in der Wechselzone Stellung. Nation hinter Nation ist aufgereiht. Mit einem Fuss am Boden und einer Hand am Gitter warte ich auf den Handschlag durch Ginia. Die Nervosität steigt. Bald gilt es, über eine Runde mein Bestmögliches fürs Team zu geben. Ich freue mich auf meinen demnächst ersten Einsatz bei einem Team-Relay! Die Französin taucht als Erste beim Rockgarden auf, gefolgt von Ginia. Mit 2s Rückstand übergibt Ginia an mich. Ich stosse mich ab und fahre los. Gleich im ersten Anstieg überhole ich die Französin Line Burquier und setze mich an die Spitze.
Kurz nach dem ersten steilen und längsten Anstieg spüre ich die Konkurrentinnen im Nacken, welche Druck machen. Ich versuche möglichst so zu fahren, dass die Fahrerin hinter mir nicht vorbeikommt. Irgendwann gelingt es einer Konkurrentin aber trotzdem. Zu meinem Erstaunen ist es aber nicht die Französin, sondern die Dänin Sophie Pedersen, U23 XCO-Weltcup-Dominatorin dieser Saison. Dänemark lag bei der dritten Übergabe noch 6s hinter uns. Ich schaue kurz auf meinen Velocomputer, damit ich das Rennen gut einteilen kann und so über eine Runde nicht zu wenig ans Limit gehe, aber auch nicht überpace. Doch ich habe meinen Velocomputer vor lauter Konzentration auf mein Einsatzsignal gar nicht gestartet! Etwas später gelingt es auch Line, mich zu überholen. Ich fahre mein Rennen und konzentriere mich auf meine Aufgabe. Ungefähr nach der Hälfte der Runde schliesst auch noch Deutschland zu mir auf und fährt vorbei. Als Zweite gestartet, liege ich nun nur noch auf dem vierten Platz.
Entlang der Strecke erhalte ich die Info, dass ein Mann mich bald einholen dürfte. Sobald er bei mir ist, mache ich mich breit. Es folgt ein sehr kurviger und schmaler Abschnitt. Der Portugiese versucht zuerst mehrfach erfolglos, mich zu überholen. Einmal möchte er in einer Kurve innen durch. Dabei touchiert er aber mit der einen Seite des Lenkers den Baum und blockiert mich mit der anderen Seite. Beide müssen kurz den Fuss auf den Boden setzen. Ich fahre weiter, immer noch ihn und somit Portugal im Nacken. Beim langen Rockgarden vor dem Ziel gelingt es ihm dann, mich zu überholen. Seine Fans und Teamkollegen toben am Streckenrand.
Ich übergebe mit 6s Rückstand auf Portugal und rund 45s auf die Spitze an 5. Position an Anina Hutter, unsere Juniorin. Nicht wirklich die Position, mit welcher ich Anina auf die Runde schicken wollte – und erst recht nicht mit so viel Rückstand!
Bei der nächsten Ablösung gelingt es Dänemark, die Führung weiter auszubauen. Deutschland schickt seine Schlussfahrerin an 2. Position auf die letzte Runde, gefolgt von Italien, Frankreich und der Schweiz auf den Positionen drei, vier und fünf. Finn Treudler, unserem Schlussfahrer, gelingt es zwischenzeitlich, Positionen gutzumachen. Dänemark gewinnt überlegen. Gegen Schluss können sich Frankreich und Italien aber leicht von Finn absetzen. Frankreich gewinnt den Zielsprint vor Italien. Die Schweiz beendet das Team-Relay somit knapp neben dem Podest.
Im Vergleich zum Tag zuvor fühlte ich mich physisch besser. Allerdings war meine Leistung resp. meine Rundenzeit sehr enttäuschend. Ich habe zwar alles gegeben und kann mir somit nichts vorwerfen. Aber es ist hart, wenn genau an den Europameisterschaften, an welchen ich erst noch für ein und mit einem Team bzw. eine/r Nation im Einsatz stand, die Form weit von jener ein paar Wochen zuvor entfernt ist… Auf die Medaillenränge fehlten nur rund 11.5 Sekunden, mit knappen 13.5s auf Platz 2…
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