Die letzten Vorbereitungen fürs Heimrennen, dem Bikefestival Basel, laufen, als ich am Freitagabend plötzlich einen Anruf vom Nationaltrainer erhalte. Kurzfristig darf ich doch noch an die Weltmeisterschaften, da Linda Indergand im Training leider gestürzt ist und sich verletzt hat. Das ist definitiv nicht der Weg, wie ich meine ersten Weltmeisterschaften erreichen wollte. Ich habe zwar die Selektionskriterien erfüllt, wurde aber nicht gleich auf Anhieb für die WM ausgewählt. Jedoch war ich zur Ersatzfahrerin auserkoren, weshalb ich nun trotzdem zum Zug komme. So beginnt jetzt das Organisieren, da die Rennen in weniger als einer Woche in Pal Arinsal (Andorra) beginnen. Die Mehrheit der Delegation reist bereits am Sonntag an. Für mich ist dies aber keine Option, da ich an meinem Heimrennen starten möchte.
Am Montag würden auch noch zwei Athletinnen anreisen, doch dieser Flug ist unterdessen ausgebucht. So fliege ich alleine und organisiere mir ein Mietauto.
Vom Flughafen geht es zuerst mit einem Shuttle zur Autovermietung. Natürlich ist meine Kartenlimite zu tief, um die Kaution zu bezahlen. Also muss ich zuerst bei der Bank anrufen. Nach mehreren Hürden schaffe ich es doch noch, dass ich das Auto erhalte und mich auf den Weg für die letzten 3h der Reise machen kann. Erst kurz vor 22h erreiche ich die Unterkunft. Zu spät für meine Zimmer-”Gspänli”. Als wir an der Tür klopfen, macht niemand auf. Also versuchen wir unser Glück telefonisch und mit anklopfen bei einer anderen Türe. Stille. So komme ich zuerst in ein noch leeres Zimmer, und wechsle später ins vorgesehene Zimmer mit Juniorinnen und U23-Fahrerinnen.
Trotz Kurzfristigkeit und Hektik freue ich mich sehr, erstmals an Weltmeisterschaften teilnehmen zu können und nun in Andorra zu sein. Eine Destination, an welche ich sehr gute Erinnerungen habe und für mich speziell ist – und nun noch spezieller sein wird (unabhängig vom Resultat): 2019, ein Jahr nach meiner ersten Mountainbike-Saison als lizenzierte Fahrerin, startete ich in Vallnord das erste Mal an einem Weltcup – damals noch bei der U23 – und fuhr gleich in die Top25. Bis zum Beginn dieser Saison erreichte ich auch in Andorra mein bisher bestes Weltcup-Resultat. Ich liebe die Umgebung, die Natur sowie den Boden und habe viel Spass auf der sehr natürlichen Strecke.
Noch bevor ich mich das erste Mal Richtung Renngelände begebe, sehe ich bereits die ersten Gänsegeier – und es sollten nicht die letzten bleiben. Um zur Strecke zu gelangen, kann ich von der guten Organisation und den entspannten Transportmöglichkeiten Gebrauch machen, von welchen ich im Jahr 2019 so beeindruckt war: Dazu rolle ich mit dem Bike gemütlich nach unten zur Bahnstation, steige in die Luftseilbahn ein – das Bike wird entgegengenommen und muss ich nicht einmal aussen an der Kabine aufhängen, denn dies wird für mich erledigt – und fahre mit dieser nach oben. Die Bergstation befindet sich direkt beim Renngelände. Dort hält man mir bereits das Bike wieder hin. Die letzten Meter zum Team-Zelt lege ich noch auf dem Bike zurück.
Da ich im Vergleich zu den bereits anwesenden Fahrerinnen weder schon einen Trackwalk (Streckenbesichtigung zu Fuss) gemacht oder ein paar Runden mit dem Bike auf der Strecke gedreht habe, begebe ich mich am Dienstag zuerst alleine auf die Strecke, um einen ersten Eindruck zu erhalten.
Später schliesse ich mich einer Swiss Cycling Gruppe an, um die verschiedenen Linienoptionen besser kennenzulernen. Die Strecke ist bereits zu Beginn der WM-Woche ziemlich ruppig zum Fahren und ausgefahren. Bis zum Rennen dürfte dies nicht besser werden – im Gegenteil. Es ist normal, dass sich die Strecke durch die vielen Trainingsrunden und -stunden verändert und häufig mehr Schlaglöcher entstehen oder Wurzeln und Steine mehr zum Vorschein kommen. Doch in diesem Jahr muss der Lenker bereits am ersten Tag gut festgehalten werden.
Mittwochs teste ich nochmals neue Linien und präge mir die möglichen Optionen gut ein und versuche zu spüren, welches meine Präferenzen sind.
Es ist Freitag und die Shorttrack-Weltmeisterschafts-Rennen stehen am Abend auf dem Programm. Nach der Renn-Mahlzeit fahren wir zum Renngelände, wo ich noch ein paar Runden auf der XCC-Renn-Strecke drehe. Diese ist kürzer als die XCO-Strecke und hat eine etwas andere Kurve. Vor dem Call-up schlängle ich mich durch die Menschenmenge – was jeweils nicht so einfach ist und stressig sein kann – und finde mich bei den Call-up-Boxen ein. Mit Startnummer 49 werde ich in die dritte Box eingewiesen und befinde mich so bei den Startnummern um 49. “Das kann doch nicht sein!” In der Weltrangliste bin ich weiter vorne platziert und müsste deshalb weiter vorne starten können, denn die Startaufstellung erfolgt aufgrund der Weltrangliste. Da ich aber nachgemeldet wurde, habe ich eine höhere Startnummer erhalten. Normalerweise darf man dann aber trotzdem an der Stelle gemäss Weltrangliste einstehen. Ich melde es meinen Betreuungspersonen. Diese meinen allerdings, dass nichts zu machen sei. Als ich dann eine Frau der UCI in der ersten Box sehe, welche sich suchend umblickt, zeige ich ihr mit einer Handgeste, dass sie doch bitte einmal zu mir kommen sollte. Sie läuft auf mich zu und sieht meine Startnummer und beordert mich in die erste Box. Somit hat sie gefunden, wonach sie gesucht hat und ich bin dort, wo ich hingehöre. 🙂
Es geht nur noch wenige Minuten bis zum Start. Als ich aufgerufen werde, fahre ich nach vorne und reihe mich ein. Leider – wie sich später herausstellen sollte – kann ich die Position nicht wählen. Ich bin die letzte einer Startreihe und muss am Rand auf der rechten Seite einstehen. Die Temperaturen sind warm. Ich kühle mich nochmals gründlich. Während dem Rennen haben wir diese Möglichkeit nicht mehr, ausser wir leeren den Bidon, den wir dabei haben, über uns. Ich bin bereit für mein erstes WM-Rennen. “Riders will start at anytime in the next fifteen seconds. Riders watch the lights.” Um 17.30h wechseln die Lichter auf grün. Ich erwische einen idealen Start und presche los. Doch leider werde ich schon bald ausgebremst, denn nur nach wenigen Metern folgt fast eine 180°-Kurve: Die Fahrerinnen von links ziehen nach rechts und machen so den Weg zu. Die Fahrerinnen vor mir bremsen stark. Ich bin eingeklemmt und mir bleibt nichts anderes übrig, als ebenfalls zu bremsen und mich an den Fahrerinnen vor mir zu orientieren. Somit ist mein guter Start dahin. Ich jage über die Wiese. Zu Beginn des sehr steilen Anstiegs stürzt jemand vor mir. Ich muss ausweichen und verliere noch mehr Schwung, als man bei diesem Anstieg sowieso verliert.
Ich fühle mich aber gut und kann bald Positionen gutmachen. Irgendwann ist jedoch das gute Gefühl verschwunden, und ich fahre gefühlt rückwärts.
Jedenfalls verliere ich einige Positionen, auch wenn die Fahrtrichtung immer noch vorwärts ist. Vermutlich haben mir auf 1900m.ü.M doch ein paar Sauerstoffmoleküle gefehlt. Am Schluss erreiche ich das Ziel auf dem 25. Rang – nicht wirklich gut, aber auch nicht wirklich schlecht. Beim Rennen habe ich dermassen viel Staub eingeatmet, dass ich den ganzen Abend huste und der Hals wund ist.
Am Samstag geht es nochmals darum, zu schauen, wie sich die Linien entwickelt haben, das Setup wie Reifen, Federung anzupassen und sich den Feinschliff auf der Strecke zu holen. Ich treffe meine Linienwahl und habe Optionen bereit für unterschiedliche Szenarien wie verschiedene Rennverläufe oder andere Wetterbedingungen.
Als ich am Samstagabend noch ein paar Dinge für Sonntag bereit mache und schon ins Bett gehen möchte, erhalte ich die Mitteilung, dass das morgige Rennen aufgrund einer Unwetterwarnung vorverlegt werden muss. Neue Startzeit ist um 10.15h. Zudem werden wir mit den U23-Frauen zusammen starten. Auch wenn die jeweiligen Kategorien separat gewertet werden sollten, werden daher viel mehr Fahrerinnen zugleich auf der Strecke sein. Die Startaufstellung soll gemäss UCI-Weltrangliste stattfinden, wodurch U23- und Elite-Fahrerinnen-Startfelder gemischt sein werden. Schlechter klassierte Elite-Fahrerinnen haben so einen Nachteil und müssen nochmals weiter hinten starten. Zudem wird die Rundenzahl für die Elite-Fahrerinnen jener der U23 angepasst und somit um eine Runde gekürzt. Damit wird das Rennen rund 15min kürzer als gewohnt dauern. Statt früh ins Bett zu können, heisst es also: ab zur Teambesprechung. Wir werden mit letzten Infos versorgt. Danach bereite ich noch möglichst alles für den morgigen Tag vor, denn am Morgen bleibt somit nur wenig Zeit.
Am früheren Sonntagmorgen regnet es. Bis zum Warm-up lässt der Regen aber nach, sodass ich auf der Strasse einfahre. Es herrschen noch frische Temperaturen. Sobald meine Muskeln aufgewärmt sind, begebe ich mich zu den Call-up-Boxen. Da wir auch noch mit den U23-Frauen starten, studiere ich die Nummern-Tabelle, welche aussen an der Box angebracht ist, genau. Nun finde ich meinen Platz. Die Zuständige der UCI möchte mich allerdings wegscheuchen. Ich gebe ihr freundlich zu verstehen, dass ich hierher gehöre. Zu eng ist es, um auch noch auf der Rolle fahren zu können, ohne Domino spielen zu wollen. So warte ich geduldig auf meinen Renneinsatz.
Der Start ist mit den vielen Fahrerinnen und gemischten Fahrerinnen-Feldern sehr hektisch. Auf den Singletrails gibt es starken Stau. Im Waldanstieg fahren wir so langsam, dass es eine Herausforderung ist, auf dem Bike zu bleiben. Ich touchiere die vordere Fahrerin und muss kurz einen Fuss auf den Boden setzen. Ich verliere so viel Zeit. Beim höchsten Punkt geht es ebenso kaum vorwärts. Alle fahren kreuz und quer über Stock und Stein. Auch in der langen Abfahrt stehe ich auf den Bremsen. Wir fahren kaum schneller als Schritttempo. Meistens bleibt mir nichts anderes übrig als anzustehen und zu warten. Doch wenigstens finde ich in der Anfangsphase ein paar Mal eine kurze Linie, welche vor mir vermutlich aufgrund der “unbekannten” Bedingungen niemand traut zu fahren, und kann so ein paar Fahrerinnen überholen.
Ich bin erstaunt, wie staubig und trocken die Strecke immer noch ist. Anscheinend hat es in der Nacht nicht wirklich geregnet. Es gibt aber noch teils feuchte Stellen vom Regen zuvor. So sind auch die Steinplatten oder der Pumptrack nach wie vor leicht dunkel gefärbt und etwas feucht. Doch die Linien sind alle fahrbar.
Die Stauphasen dauern bis in der zweiten von fünf Runden an. Sobald ich es in den Abfahrten mehr laufen lassen kann, gibt es kaum mehr Erholungsmöglichkeiten – zu ruppig und unruhig ist die Strecke. So dient der sehr steile Skipisten-Anstieg zur Erholung von der Abfahrt und die nächste Abfahrt wieder zur Erholung vom Anstieg. 🤪
In der längsten Abfahrt wird es mit brennender Lunge und Muskeln gar zur Herausforderung, das Bike halten zu können.
Mit der Zeit sind die Ränge quasi “verteilt”. Anders als erwartet, brechen kaum Fahrerinnen ein und fallen zurück. In der letzten Runde kann ich nochmals zusetzen und meine insgesamt schnellste Rundenzeit herausfahren.
Schlussendlich beende ich meine erste XCO-Weltmeisterschaft auf dem 28. Rang.
Somit erzielte ich zwei Resultate, welche meine Konstanz diese Saison unterstreichen, doch leider keinen positiven Ausreisser.
Die Vorbereitung war aufgrund der Nachselektion nicht optimal (resp. auf diese Rennen ausgerichtet) und alles war sehr kurzfristig. Insbesondere fehlte mir ein Höhentrainingslager und die damit verbundene Akklimatisation des Körpers an diese Höhe. Trotzdem habe ich gehofft, ein Resultat zu erreichen, wie ich dieses Jahr in Weltcups schon herausfahren konnte. Wenn die Resultate besser werden, steigen auch die Ansprüche. 😉
Nach den Rennen kreisen plötzlich mind. 30 Gänsegeier am Himmel und schauen nach, ob niemand auf der Strecke geblieben ist und das Ziel nicht erreicht hat. So kommt es mir jedenfalls vor… 😉 Sie fliegen teils nah über den Team-Zelten. Ein eindrückliches Schauspiel.
Das vorhergesagte Unwetter blieb übrigens aus, zumindest soweit ich dies von 400 Höhenmeter weiter unten mitbekommen habe.
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