Als letzter Programmpunkt der Saison steht das Abenteuer Übersee an – für mich eine neue Erfahrung, habe ich doch noch nie Europa verlassen. Es wartet eine lange Reise auf uns. Beim Flughafen öffnen sie kurzerhand einen Familien-Schalter, als sie all unser Gepäck gesehen haben. Zumindest die Gepäckaufgabe klappt problemlos, wir kommen auch gut durch die Sicherheitskontrollen. Bleibt nur zu hoffen, dass alles Gepäck auch am richtigen Ort und ganz ankommt. Wir fliegen nach Montréal (CAN) und reisen von dort mit dem Auto weiter in die USA, nach Lake Placid. An der US-amerikanischen Grenze angekommen, müssen wir zuerst die diversen Sicherheitskontrollen über uns ergehen lassen. Dafür werden unsere Pässe eingesammelt, das Auto müssen wir stehen lassen und den Schlüssel abgeben. Anschliessend werden wir im Gebäude befragt, Gesichter gescannt und unsere Fingerabdrücke abgenommen. Lake Placid und Mountainbike-Weltcup ist ihnen auf jeden Fall schon ein Begriff, sind wir doch nicht die ersten, welche deshalb beim Grenzübergang vorbeikommen. Später erhalten wir grünes Licht und dürfen einreisen. Nach knapp 19h Reise (exkl. 6h Zeitverschiebung) erreichen wir endlich unser Ziel.
Am nächsten Tag erkunde ich erstmals mit dem Bike etwas die Umgebung. Prächtige Herbstfarben empfangen mich. Ich entdecke bereits eine Strasse, welche mir sehr gefällt und sich einem Fluss entlang schlängelt.
Aufgrund des ergiebigen Niederschlags entscheide ich mich dazu, die erste Streckenbesichtigung um einen Tag zu verschieben und das Bike etwas zu schonen. In Übersee haben wir nicht gleich viel Material zur Verfügung wie in Europa. Stattdessen habe ich die Möglichkeit, die Umgebung etwas weiter zu erkunden und schliesse mich für eine Fahrt den Jungs an. Am Ende finden wir eine alte Bahnlinie, welche zu einem Gravel-Fahrradweg umfunktioniert wurde und durch eine schöne Landschaft führt.
Am Freitag geht es dann erstmals auf die Strecke am Fusse des Mount van Hoevenberg. Sie enthält viele gebaute Abschnitte, wie Anliegerkurven, Baumstämme und Steine zum Hoch- oder Herunterfahren. Es gibt einen sehr langen Anstieg, welcher aber durch die eingebauten Hindernisse Rhythmusbrecher enthält. Am höchsten Punkt gibt es eine natürliche Waldabfahrt, welche diverse Linienoptionen bietet, da sie relativ weit ist.
Samstags steht mit dem Shorttrack schon das erste Rennen auf dem Programm. Nach dem Start gibt es eine heimtückische Kurve, denn die Kurve der Rennstrecke ist anders gesteckt als der Strassenverlauf. Ich weiss zwar, dass ich stärker nach links müsste. Doch im Feld ist nicht ersichtlich, wann dieser Moment kommt und mitten im Getümmel habe ich alles andere als eine freie Linienwahl. So taucht das Absperrband dann doch schneller als erwartet auf und ich werde vom Feld nach aussen gedrückt. Um die Rennstrecke nicht zu verlassen, muss ich bremsen und verliere an Schwung. So muss ich mich leider weiter hinten einreihen als erhofft. Und als wir erstmals zum Rockgarden kommen, stehe ich im Stau.
Ich fühle mich während dem Rennen gut und der Motor scheint zu funktionieren. Doch leider verbrauche ich zu viel Energie, weil sich vor mir auch immer wieder Stürze ereignen. Der Rockgarden ist nicht der einzige Flaschenhals auf der XCC-Strecke. So erreiche ich das Ziel zwar nur auf dem 26. Rang, was leider knapp nicht reicht, um am Sonntag weiter vorne starten zu können. Aber ich kann ein gutes Gefühl für das morgige Rennen mitnehmen.
24h später stehe ich bereits wieder an der Startlinie für das XCO-Rennen. Sobald die US-amerikanische Hymne ertönt, beginnt das Startprozedere.
Ich erwische einen guten Start, habe während dem Rennen aber mehr zu kämpfen als gewünscht. Mit den sehr motivierenden Zurufen der AmerikanerInnen hole ich trotzdem das Maximum aus mir heraus, was an diesem Tag möglich ist. So kann ich mir immerhin einen weiteren Top30-Rang bei einem Weltcup erkämpfen und bis am Ende noch Ränge gutmachen. Für den 30. Platz musste ich aber alles geben. Mehr ist heute nicht drin gelegen.
Am Montag legen wir FahrerInnen einen Teil der Strecke nach Kanada mit dem Bike zurück. Gleich nach wenigen Metern hapert es aber bereits mit der Streckenführung: Die Route führt uns zu einem Friedhof und später über einen Golfplatz. Bei der zwischenzeitlichen Wegalternativen liegen viele Bäume im Weg. Mit der Zeit schaffen wir es aber auch wieder auf die Strasse. Die flache «Gravel»-fahrt entpuppt sich später eher zu einer teils steilen «Dickicht-offroad-Tour». Trotzdem schaffen wir es aber in nützlicher Frist zu unserem Treffpunkt, wo der Staff bereits auf uns wartet. Die weiteren Kilometer legen wir anschliessend mit dem Auto zurück und erreichen so Mont-Sainte-Anne, die letzte Weltcupdestination dieser Saison. Unsere Unterkunft befindet sich nur wenige Meter neben dem Renngelände.
Die Landschaft und das herbstliche Feuerwerk gefallen mir hier sehr. Nur schade, gelangt man irgendwann gezwungenermassen auf die vierspurige Hauptverkehrsachse – welche sich nicht gerade für gemütliche Ausfahrten eignet.
Vom Hören-Sagen und von Bildern weiss ich, dass die natürliche Strecke hier zu den technisch anspruchsvollsten Strecken im Weltcupzirkus gehört. Da genügend Zeit vorhanden ist und um Energie beim Training zu sparen, begebe ich mich am Dienstag auf einen «Trackwalk» und mache mir zu Fuss einen ersten Eindruck der Strecke.
Am Mittwoch nehmen wir uns die Zeit, die nahe gelegene Stadt Québec etwas zu erkunden.
Donnerstags darf ich dann endlich mit dem Bike erstmals auf die Strecke und verschiedene Linien ausprobieren. Der Boden ist noch feucht und die Steine sowie Wurzeln rutschig. Doch die Strecke trocknet von Runde zu Runde mehr ab.
Beim Shorttrack-Rennen am Freitagabend gelingt mir ein guter Start. Ich vermassle mir gleich darauf aber meine gute Ausgangslage, indem ich einen taktischen Fehler mache und schaffe es nicht mehr aus dem Schlammassel herauszukommen. Denn schon nach der ersten Abfahrt ist das ganze Feld in einer Reihe aufgereiht. Durch den Handorgel-Effekt muss ich viel mehr Kraft aufwenden, um entscheidend weiter nach vorne zu kommen.
Anstatt Ränge gutzumachen, kämpfe ich um den Anschluss. Irgendwann kann ich diesen aber leider nicht mehr halten und muss abreissen lassen. Gegen Ende fahre ich in einer kleineren Gruppe und muss meine Strategie anpassen. 20-minütige-Shorttrack-Rennen sind gnadenlos! Ich erreiche das Ziel auf dem 30. Rang.
In der Nacht auf Samstag gibt es erneut Niederschlag, sodass die Strecke nochmals rutschiger ist als am Donnerstag.
Gewisse Linien muss ich den Bedingungen anpassen. War die eine Linie über einen bereits leicht rutschigen Felsen am Donnerstag gerade noch so fahrbar für mich, ist sie nun zu riskant und ich sehe niemanden, welche/r diese Linie noch wählt. Also fahre ich den Felsen direkter an. Kerben und kleine Absätze sollen zusätzlichen Halt bieten. Dahinter gilt es ein schmales Felsband zu treffen. Links ist der Felsen nämlich begrenzt. Und da wir auf dem Felsen eine Rechtskurve fahren, wird links meistens jeder Millimeter ausgenutzt. Eine Runde später wird es prompt knapp. Das Vorderrad landet an der gewollten Stelle und wie immer rutscht das Hinterrad ein paar Zentimeter seitlich, bis es gegen den nächsten herausstehenden Felsen prallt. Doch diesmal komme ich etwas aus der Balance und befinde mich schon ganz links am Abgrund. Ich merke, dass ich den Punkt überschritten habe, wo ich noch nach rechts ausbalancieren könnte. Anstatt einfach nach links hinunterzufallen, packe ich meine letzte Chance, und springe vom Felsen herunter – ohne zu wissen, ob es klappen wird oder mich demnächst überschlagen werde. Doch einen Versuch ist es wert. Und siehe da: Ich lande sauber und komme vor der Schutzmatte zum Stehen. Auch gut zu wissen, dass man sich hier, je nach dem, auch aus einer misslichen Lage retten kann.
Die Startphase beim Rennen am Sonntag ist wie gewohnt hektisch. Kurz vor der ersten Abfahrt verheddert sich auch noch ein Bike in meinem, wodurch ich Positionen verliere. In der Abfahrt staut es, aber immerhin kann ich langsam fahren. Bis Richtung Start/Ziel ist es dann eine lange Einer-Kolonne, welche teils bereits Lücken aufweist. Aufgrund des auseinandergezogenen Feldes hätte ich nicht damit gerechnet, dass in der ersten Runde beim höchsten Punkt, wo es technisch ist, nochmals so stark zurückstauen würde…
Doch leider komme ich dort fast zum Stillstand. Vor mir gibt es diverse Stürze. Und so wird es noch mehr zur Herausforderung, die technischen und rutschigen Sektionen zu fahren, da nun das benötigte Tempo fehlt. Und solange ich nicht weiss, ob ich über den Felsen freie Bahn habe, macht es keinen Sinn zu fahren. Denn stark zu bremsen auf der glatten und rutschigen Oberfläche hätte zu einem Sturz geführt. So verliere ich immer wieder wertvolle Zeit.
In der zweiten Runde bin ich in dieser Sektion dann komplett von der Rolle und mache selber diverse Fehler. Anstatt in den Flow des Fahrens, komme ich in den «Flow» des Ausklickens und Fehler machen. Einen Sturz kann ich gerade noch verhindern. Danach finde ich zum Glück den Flow in den technischen Passagen. In den letzten Runden kann ich nochmals etwas zusetzen und ein paar Ränge gutmachen.
Im letzten richtigen Anstieg schaffe ich den Anschluss zur Belgierin und Kanadierin vor mir. Ich möchte meine Chance nutzen und diese auf den letzten Metern vor der Abfahrt noch überholen, aber sie beschleunigen noch etwas. Und da ich bereits innert kurzer Zeit eine grössere Lücke zugefahren bin, reicht die Energie nicht aus, um trotzdem vorbeizufahren. In der der Techzone gelingt es mir schlussendlich, die Belgierin zu überholen und kann die Lücke, welche unterdessen zur Kanadierin aufgegangen ist, schliessen. Auf den letzten Metern verfügt sie aber noch über die besseren Energiereserven. Ich überquere die Ziellinie enttäuscht auf Position 33. So habe ich es leider nicht geschafft, bei jedem Weltcuprennen in dieser Saison, bei welchem ich am Start gestanden bin, unter die Top30 zu fahren. Dafür bin ich etwas stolz, dass ich es die anderen zehnmal geschafft habe. 😉
Trotzdem hätte ich mir von den Übersee-Rennen etwas mehr erhofft und mir einen besseren Abschluss der Saison gewünscht, welcher meiner Saison 2024 «würdig» gewesen wäre.
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