„The Grand Finale“ steht an. Schon?! Die Zeit vergeht extrem schnell. Kaum bin ich doch erst beim ersten Weltcup dieser Saison in Albstadt gestartet und nun findet schon das Weltcupfinale in Val di Sole (ITA) und somit der letzte Weltcup dieser Saison statt! Für mich geht es erstmals ins Südtirol an den Weltcup.
Die erste Streckenbesichtigung absolviere ich im Eindunkeln zu Fuss. Die Strecke ist sowohl technisch als auch physisch sehr anspruchsvoll – insbesondere im ersten Teil der Strecke: Die Aufstiege sind nicht nur richtig steil, sondern auch noch verwinkelt. Es ist wichtig, so «rund» und ökonomisch wie möglich zu fahren, um möglichst wenig Energie liegen zu lassen. Dies ist insbesondere wegen der Wurzeln und Steine in den engen Kurven kein leichtes Unterfangen, zumal rund und flüssig fahren auch noch nicht meine grosse Stärke ist. Normalerweise fahre ich gerne möglichst direkt in der “Kampflinie”.
Auf der Strecke in Val di Sole ist nonstop Konzentration und Fokus gefragt, um trotz hohem Puls und grosser Ermüdung keine resp. so wenige Fehler wie möglich zu machen. Direkt nach dem giftigen Anstieg und noch mit Maximalpuls läutet ein Drop (über einen grossen Stein) die erste der zwei «langen Abfahrten» ein. Erholen kann man sich in der Abfahrt nur sehr kurz, da sie aufgrund des hohen Tempos schnell vorbei ist und man aktiv fahren muss, um bei den flachen Kurven Traktion zu haben. Gut, wenn man sich rasch erholen kann. 🤪
Nach der Durchfahrt der Tech-Zone fahren wir in der Fläche bis zum langen Anstieg des zweiten Teils. Dieser ist weniger verwinkelt, dafür umso länger, bevor es im Anschluss in die zweite «lange» Abfahrt mit vielen Steingärten (Rockgarden) geht.
Auch wenn ein Abschnitt des langen Anstiegs «Wild Grizzly» heisst, habe ich leider keinen Bären zu Gesicht bekommen. 🙄🤪 Dafür ist beim Trackwalk plötzlich ein Feldhase vorbeigehoppelt. 😉 Möglicherweise haben wir den Bären aber auch einfach übersehen – unterdessen ist es schon stockdunkel.
Während mehreren Trainings auf der Strecke versuche ich, die für mich beste Linie herauszufinden – sie soll einerseits schnell sein, aber auch nicht zu viel Energie auf einmal rauben – und einzuprägen. Aufgrund der steilen Anstiege entscheide ich mich dazu, ein kleineres Kettenblatt zu montieren. Am Samstagmorgen absolviere ich das letzte Training auf der Strecke und bereite anschliessend das Bike final vor. So bin ich samstagnachmittags bereit und voller Vorfreude für das grosse Finale vom Sonntag.
Am Samstagabend erdröhnt plötzlich, trotz geschlossenen Fenstern in der Unterkunft, laute Musik von aussen. Wir erwarten, dass draussen bald eine grosse Party steigt und möchten nachsehen, von wo denn dieser Krach kommt. Doch als wir vom Balkon lugen, sehen wir nur eine grosse Musikbox auf einem Tisch stehen, weit und breit aber kein Mensch. Die Musik dröhnt jedoch enorm zwischen den Häusern. Eine ganze Weile geht dieser Lärm weiter. Ich höre die Musik sogar durch meine Kopfhörer, während ich versuche, mich auf etwas anderes zu konzentrieren. Als wir erneut nachsehen, wer denn der DJ ist, trauen wir unseren Augen nicht: Ein Junge und ein Mann im Grossvater-Alter schreiten gelassen über den Rasen, beide mit Ping-Pong-Schlägern in der Hand. Nachdem sie eine Partie Ping-Pong gespielt haben, oder vlt. hat auch jemand reklamiert, verstummt die Musik. Einem erholsamen Schlaf dürfte also nichts mehr im Weg stehen, damit ich nochmals viel Energie für das morgige Rennen tanken kann. 🥱😴
Am Sonntag möchten wir aufgrund des Materials möglichst nah beim Renngelände parkieren.Tatsächlich gäbe es in der Nähe des Renngeländes noch einen freien Platz. Doch damit wir parkieren dürften, müssten wir 20€ bezahlen – Willkommen in Italien! Die Besitzer des Grundstücks scheinen zu wissen, wie sie Geld verdienen können! 😅
Aufgrund der Lage entscheiden wir uns für den – wohl teuersten – Wiesenparkplatz. Dafür ist das Material rasch in der Feed & Tech Zone und der Weg zum Start kurz. Bald ist es Zeit zum Aufwärmen – aber halt, wo sind denn meine Handschuhe?! Ich bin mir eigentlich sicher, diese eingepackt zu haben. Also durchsuche ich nochmals die Tasche, ob ich sie irgendwo übersehen habe. Langsam aber sicher werde ich nervös, denn ich sollte doch eigentlich schon beim Aufwärmen sein. Vielleicht reicht es mir noch zur Ferienwohnung, um dort ein anderes Paar meiner Handschuhe zu holen? Dies dürfte zeitlich etwas knapp werden. Als ich losfahren möchte, realisiere ich aber plötzlich, dass die Zeiten in meinem Kopf etwas durcheinandergeraten sind. Ich bin zwanzig Minuten zu früh! 🤦🏻♀️😅 So reicht es mir also, die Handschuhe zu holen und ich kann pünktlich mit dem Aufwärmprogramm beginnen.
Kaum ist der Startschuss erfolgt, möchte ich eigentlich – so rasch wie möglich – viele Plätze gut machen. Dies gelingt mir jedoch nicht nach Wunsch. Auch in der Fläche prägen enge Kurven die Strecke. Dadurch kann ich nur mit viel Aufwand und erhöhtem Risiko an anderen Fahrerinnen vorbeikommen. Zudem gibt es in der Fläche, anders als bei einem Anstieg, kaum Lücken, weil alle das Tempo mitgehen mögen. Beim Anstieg wird es dann etwas schmaler und eine Kurve löst einen Flaschenhals-Effekt aus. Es kommt zum Stau und bald rennen wir zu Fuss – auf einem breiten Weg! – ein Stück des Anstiegs hoch. Bei der Abfahrt angekommen, staut es beim ersten Rockgarden wieder.
Die Start-/Ziellinie überquere ich erstmals auf Rang 61 und mit bereits über einer Minute Rückstand auf die Spitze, bei gerade einmal weniger als sechs Minuten Fahrzeit! Definitiv nicht der erhoffte gute Start ins Finale!
Später, im ersten Teil der ersten grossen Runde, ist es aufgrund der verwinkelten Kurven schwierig zu überholen. In diesem Streckenabschnitt fahren viele nahe am Limit, sodass ich später für die Efforts von Überholmanövern büssen könnte; deshalb entscheide ich mich, hier eher passiv zu fahren.
Ich fahre relativ konstante Rundenzeiten und kann, angefeuert von den vielen Zuschauern, kontinuierlich Ränge gutmachen. Punktuell ist es sogar so laut, dass es nur so in den Ohren dröhnt. Auch einige Kettensägen haben sich an den Streckenrand verirrt und sorgen für einmal auch beim Cross-Country Rennen für Stimmung (und nicht nur bei den Downhill-Rennen). Doch gleichzeitig stinkt es nach Benzin, zur Freude der Lunge, die bereits ständig Staub einatmen muss. Es hängt eine riesige Staubglocke über dem gesamten Renngelände, welche von weitem zu sehen ist.
In der zweitletzten Runde überhole ich kurz vor dem höchsten Punkt, dem Drop, eine weitere Fahrerin. Ich hole etwas aus, damit ich die Kurve vor dem Drop abschliessen und dann gerade in die Abfahrt stechen kann. Just während ich aushole, drängt sich die Konkurrentin innen durch und springt nach aussen über den Drop in Richtung der B-Linie. So muss ich kurz verlangsamen, kann anschliessend aber die direkte – und schnellere – Linie fahren. Die Konkurrentin fährt die weitere Linie, weshalb ich bis zur nächsten Kurve wieder an ihr vorbeiziehen kann. Ich fokussiere mich ganz auf das Fahren des Anliegers der Kurve und realisiere etwas spät, dass die Konkurrentin den Anlieger schneidet und mich weiter nach aussen drängt. So erwische ich mit dem Vorderrad eine Stelle, an welcher der Staub sehr tief ist und der Boden nachgibt. Mein Vorderrad rutscht weg und ich stürze, richte mich aber schnell wieder auf und fahre staubbedeckt weiter. Das Weltcupfinale beende ich auf dem 37. Rang.
Auch wenn dieses Resultat für mich solide ist, wäre ich nach vier Top30-Resultaten bei diesem Weltcup gerne nochmals unter die Top30 gefahren. Mit den besseren Resultaten steigen auch die Ansprüche. 😉
Doch eines ist klar, ich werde die Weltcupatmosphäre bis zum Start der Weltcup-Saison 2023 vermissen!
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