Nach den Schweizermeisterschaften in Crans-Montana bleibe ich im Wallis, um am Mittwoch direkt nach Lenzerheide zu reisen. Eine Woche nach der SM folgt mit dem Heimweltcup bereits das nächste Highlight dieser Saison. Am Donnerstag geht es gleich mit der Streckenbesichtigung los. Für dieses Jahr gibt es zwei resp. drei neue Streckenführungen, nebst dem ein paar Abschnitte anders gesteckt wurden: Dafür wurde der Anstieg verlängert, indem wir mit der Zeit vom Teer-Anstieg rechts auf den Bike-Park abbiegen und einen Flow-Trail hochfahren.
Das Wetter ist aktuell ziemlich launisch. Zu Beginn der Streckenbesichtigung ist die Strecke trocken und staubig. Mit der Zeit beginnt es aber leicht zu regnen. Sofort werden die Wurzeln und Steine rutschiger. Auch das Überfahren des berühmt-berüchtigten grossen Steins “The Rock” – hierbei handelt es sich um einen grossen Stein, mit einem schmalen Grat (ist im Video weiter unten zu sehen) – wird zu einem grösseren Balance-Akt. Ich komme etwas ins Rutschen, schaffe es aber. Weitere Regentropfen fallen, der Stein wird nasser und nochmals rutschiger. Ich möchte diese Stelle gleich mehrfach hintereinander fahren, damit ich die Linie verinnerlichen kann. Ich trete ein paar Mal kräftig in die Pedale, um Schwung zu holen. Doch prompt erkunde ich bei den nächsten Versuchen Mühe mit dieser Schlüsselstelle und muss ein paar Anläufe nehmen, bis ich wieder über den Felsen fahren kann, ohne den Versuch abbrechen zu müssen, weil das Bike wegrutscht.
Bis am Sonntag bleibt das Wetter unberechenbar: Immer wieder fällt über kurze Zeit intensiver Regen und danach scheint wieder die Sonne. Deshalb ist die Wahl der Reifen bis zum Schluss nicht ganz klar und ein Poker-Spiel. Wir entscheiden uns für den etwas gröberen Reifen, welcher auch etwas mehr Pannenschutz hat, denn es kommen immer mehr Steine zum Vorschein…
Ich schwinge mich auf das Bike und starte mit meinem Warm-up. Etliche Zuschauer pilgern bereits von der Bushaltestelle Richtung Renngelände. Vom letzten Jahr kenne ich noch einen „Schleichweg“, um das Slalomfahren zwischen den Zuschauern kurz vor dem Call Up umgehen zu können. Doch dies klappt dieses Jahr nur bedingt. Vor den Call Up Boxen tummeln sich bereits viele Zuschauer. Allerdings ist dies nicht mein Hauptproblem, sondern dass der Eingang der Call Up Boxen – dort werden die FahrerInnen bereits vorsortiert und müssen aufgeteilt nach den Startnummern in unterschiedliche Boxen – im Vergleich zum letzten Jahr auf die andere Seite verlegt wurde. Der Speaker ruft, dass die Boxen in einer Minute geschlossen werden. Danach ist das Hineinkommen und ein Start unmöglich. Ich versuche von dieser Seite über die Gitter in die Call Up Boxen zu klettern. Ein Funktionär weist mich zurecht, dass dies nicht erlaubt sei. So beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit und ich muss den Umweg durch die Zuschauer suchen. „Tschuldigung“, „Sorry“, „Achtung“ – Ich schlängle mich schnellstmöglich durch die Menschenmenge und finde zum Glück noch rechtzeitig zu meiner Call Up Box. Die Rolle steht dank den Betreuern vom Team schon bereit. Ich gebe meine Utensilien vom Warm-up (Handy, Kopfhörer und Langarm) Camilla, unserer einen Physiotherapeutin, ab und gebe meinem Mechaniker Sam das Zeichen, dass mit dem Bike alles in Ordnung ist. Von Luk, dem Team-Manager, erhalte ich noch die letzten Tipps, bevor wir die Rollen verlassen müssen und die Betreuungspersonen aus den Call Up Boxen gewiesen werden.
Um 13h wechseln die Lichter des Startsignals von rot auf grün: Wir preschen los – oder besser gesagt, die meisten preschen los. Ich bin blockiert: Vor mir kommt eine oder mehrere Fahrerin(nen) nicht in die Pedale. Der Start lief wohl nicht ganz nach Plan, so fahre ich als eine der letzten über die Startlinie und habe schon etliche Sekunden Rückstand auf die Spitze… Sobald ich auf Tempo komme, mache ich mich zuerst dazu auf, den Anschluss ans Feld wieder zu schaffen. Doch schon wird die Strasse schmaler, was prompt zu leichtem Stau führt. Dennoch kann ich mich etwas weiter nach vorne arbeiten, bis es auf einmal vor mir kracht. Ganz knapp kann ich den gestürzten Fahrerinnen noch ausweichen. Weiter oben verheddere ich mich etwas mit einer anderen Fahrerin, weshalb wir beide abstehen müssen. Die mühsam überholten Fahrerinnen fahren wieder an mir vorbei. Was für ein hektischer Auftakt in das Rennen, für welches ich mir doch eigentlich so viel vorgenommen habe!
Wieder beginne ich meine Aufholjagd und überhole Fahrerin um Fahrerin. Doch dies ist bei der schmalen Strasse der Startschlaufe bis zum höchsten Punkt nicht so einfach: Entweder fallen die Konkurrentinnen gleich reihenweise zurück, sodass es kaum ein Vorbeikommen gibt oder beim Slalomfahren und Überholmanöver wechseln sie die Seite. Beim höchsten Punkt der Startschlaufe staut es bereits stark zurück. Trotz meines Efforts im Aufstieg gehe ich als eine der letzten Fahrerinnen in die Abfahrt – höchste Zeit, meine Aufholjagd endgültig zu lancieren!
Die erste Abfahrt ist chaotisch und langsam aufgrund der zahlreichen Athletinnen. Ich wähle die eher langsamere linke Linie, in der Hoffnung, dem Stau etwas zu entkommen. Wie sich später herausstellen sollte, ist dies aber die falsche Entscheidung, denn mehrere zuvor von mir überholte Fahrerinnen befinden sich nach der Abfahrt wieder vor mir. Auf der Startrunde kommt es immer wieder zum Stau oder zumindest zu stockendem Verkehr.
Bis zur ersten Passage des Start-Ziel-Bereichs überhole ich aber die eine oder andere Konkurrentin. So gehe ich auf 45. Position und als Teil einer Gruppe in die erste grosse Runde.
Angepeitscht von den Zuschauern, meiner Familie, Freunden und Fans setze ich meine Aufholjagd fort. Die Stimmung entlang der Strecke ist genial.
Immer wieder wird es entlang der Strecke richtig laut und ich höre meinen Namen. In den Passagen, welche mir besonders gut liegen, versuche ich Druck zu machen. Dadurch kann ich immer wieder Konkurrentinnen überholen und distanzieren.
Teilweise können diese in anderen Streckenabschnitten wieder zu mir aufschliessen oder mich gar überholen. Stetig versuche ich noch mehr zu powern. Mit der Zeit gelingt es mir, dass die Lücke anwächst und ich die direkten Konkurrentinnen distanzieren kann.
Ich arbeite mich in den letzten Runden die Top30 vor. Einer weiteren Fahrerin vor mir komme ich immer näher. In der letzten Runde – unterdessen bin ich komplett am Limit – begehe ich aber noch einen dummen Fahrfehler und ramme mir das Pedal in die Wade.
Dadurch verliere ich etwas Zeit und der Abstand zur vorderen Fahrerin wird wieder grösser. sodass sie den Vorsprung knapp in das Ziel retten kann. Ich überquere die Ziellinie auf dem 30. Rang.
Was für ein verrücktes Rennen! Nach einem sehr schwierigen Start in das Rennen konnte ich doch noch einige Plätze aufholen und das Rennen in den Top30 beenden. Auch wenn ich mir vor dem Heimpublikum noch mehr erhofft habe, bin ich mit meiner Leistung und Aufholjagd zufrieden. Das Erlebnis vor den tausenden von Zuschauern war wieder einmal grossartig.
An der Stelle allen Fans an der Strecke vielen Dank für die Unterstützung! Genau für diese Momente trainiere ich stundenlang, auch bei misslichen Bedingungen, und quäle mich in den Intervallen.
📸 © Jan Cadosch 📽 © Rami Ravasio
Nun ist allerdings etwas leichteres Training angesagt, da es bereits in wenigen Tagen mit dem nächsten Weltcup in Leogang (AUT) weitergeht. Ich freue mich bereits auf den Moment, wenn die Lichter auf Grün wechseln und hoffe auf einen besseren Start wie heuer in Lenzerheide.
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