Gespannt mache ich mich auf den Weg nach Crans-Montana. Erstmals findet dort ein Weltcup statt. Letztes Jahr wurde zwar auf «derselben» Strecke die Schweizermeisterschaft ausgetragen, doch die Bilder und Videos auf Social Media lassen erahnen, dass uns eine ziemlich neue Streckenführung mit diversen frischen technischen Segmenten erwartet. Bereits im Vorhinein habe ich mir die Frage gestellt, wie gewisse Sektionen bei Regen fahrbar sein sollen – aber warten wir einmal ab. 😉
Im Wallis angekommen und als ein Teil der Jungs von der Streckenbesichtigung zum Team-Zelt zurückkehrt, erhalte ich die Information, dass die Strecke technisch sehr anspruchsvoll sei und gewisse Abschnitte viel Mut und Spannung erfordern. Noch bevor ich mich auf die Strecke begebe, beginnt es zu Regnen. Mir wird abgeraten, heute die Strecke zu besichtigen. Doch am Freitag wird noch mehr Niederschlag gemeldet und da samstags das Shorttrack-Rennen ansteht, könnte ich nach heute nur kurz auf die neue Strecke. Also bleibt mir nicht viel anderes übrig, als mich der Herausforderung zu stellen.
Den neuen Rockgarden, in dem es drei getrennte Linien gibt, möchten wir etwas genauer unter die Lupe nehmen und schauen die Stelle zu Fuss an. Luk zeigt mir bei der A-Linie, wo ich abspringen muss. Bei der A-Linie springt man von einer hohen Felsplatte direkt in den Rockgarden.
Wir diskutieren noch mögliche Optionen, als oben die Einfahrt zu den Linien A und B geschlossen wird. Zu gefährlich seien die beiden Varianten. Daher kann ich nur die C-Linie testen. Als wir zu unseren Bikes, zurückkehren möchten, gibt es bei der C-Linie einen Sturz. Meine erste C-Abfahrt klappt ohne Probleme.
Schon bald wartet die nächste Schlüsselstelle auf uns: Ein River-Gap (Sprung über einen Bach, wobei zwischen Absprung und Landung eine Lücke ist, durch die der Bach durchfliesst) und anschliessend eine sehr steile Abfahrt. Wir betrachten die möglichen Optionen. Schnell stellt sich heraus, dass die vor wenigen Minuten noch tendenziell bessere Linie unterdessen nicht mehr gut zu befahren ist und es zu Stürzen kommt, da die FahrerInnen auf dem nassen Felsen abrutschen. Auch diese Stelle meistere ich.
Der Timber Garden – dabei dient ein Längsschnitt eines Baumstamms als Sprung und diverse quer abgesagte Baumstämme als Landung – wurde unterdessen auch gesperrt. Um den Timber Garden haben wir aber bereits vorher einen Bogen gemacht. Bei Nässe ist die Landung wie Glatteis. Beim Herren-Training gab es bereits Schwierigkeiten, weil der von den Reifen mitgebrachte Schlamm die schräge Landung rutschig gemacht hat. Als wir wieder zum Rockgarden kommen, trauen wir unseren Augen nicht: Ein Bagger steht oben auf dem Plateau, nun ist auch die C-Linie gesperrt.
Es darf nur die neu in den Boden «gebaggerte» D-Linie mit unzähligen Kurven gefahren werden… Trotz des alpinen und eher trockenen Nadelbodens wird die Strecke u.a. auch durch das Befahren rutschiger und rutschiger und der Schlamm tiefer. Ich teste unterschiedliche Reifen. Bis zum Ende meines Trainings auf der Strecke gibt es an einigen Abschnitten bereits tiefe Rillen, welche sich auch mit Wasser füllen. Ausserhalb der Strecke gibt es teilweise aber immer noch griffige und fast trockene Stellen. Ich verlasse also die Strecke mit einer gewissen Ungewissheit und Unsicherheit: Werden die nun gesperrten Sektionen fürs Rennen wieder geöffnet werden? Ich bin etwas genervt, weil ich diverse Schlüsselstellen nicht testen konnte. Vor allem, weil Konkurrentinnen, welche ein paar Minuten früher auf der Strecke waren, die komplette Strecke testen konnten. Viel Möglichkeiten würde ich nicht mehr haben, um diese üben zu können… Sonst komme ich aber gut mit der Strecke zurecht und habe Spass.
Einige Regenstunden und wenige Sonnenminuten später, steht am Samstag um 13h das Shortrace an. Erst das dritte Mal überhaupt, kann ich bei einem Weltcup Shorttrack starten. Dementsprechend gross ist meine Vorfreude. Das Streckenprofil ähnelt einer kleinen XCO-Strecke und enthält technische Abfahrten, welche aufgrund des Schlamms besonders schwierig sind. Im Vergleich zu Val di Sole werden einiges mehr Höhenmeter zurückgelegt. Ich starte in der hintersten Reihe. Im ersten langen Anstieg gelingt es mir leider nicht wirklich Positionen gutzumachen, so komme ich auf Rang 27 von der ersten Runde zurück.
Das Feld hat es bereits ziemlich auseinandergerissen und es bilden sich Gruppen. Ich arbeite mich langsam weiter nach vorne. In der dritten Runde kann ich am meisten Plätze gutmachen. An siebter Position gehe ich auf die fünfte und letzte Runde und führe eine Gruppe an.
Im zweiten Drittel des Anstiegs sehe ich dann auf beiden Seiten die Vorderräder der Konkurrentinnen hervorkommen. Mehrere Fahrerinnen aus der Gruppe scheinen über mehr Kraftreserven zu verfügen als ich.
In der Abfahrt komme ich noch ins Rutschen und muss die Optimal-Linie verlassen, wodurch ich viel Schwung verliere. Auf der langen und leicht steigenden Start-/Ziel-Geraden gelingt es mir dank eines Schlusssprints aber noch die Neuseeländerin Samara Maxwell einzuholen und komme nahe an die Tschechin Jitka Čábelická. Total ausgepumpt erreiche ich das Ziel als zweitbeste Schweizerin auf dem 12. Rang und sichere mir somit erstmals für Sonntag einen Platz in der zweiten Startreihe!
Nach dem Herren-XCC-Rennen geht es nochmals kurz auf die Strecke. Unterdessen regnet es wieder und Donnergrollen ist zu hören. Mal schauen, was sie bei der Strecke alles geändert haben. Beim Timber Garden bleibt die B-Linie gesperrt. Bei der C-Linie haben sie einen Baumstamm entfernt. Die A-Linie wurde mit einem Holzbrett ergänzt, sodass vom länglichen Baumstamm auf die Oberfläche der vielen quer abgesagten Baumstämme gerollt werden kann und so das Tempo besser dosiert werden kann, wie wenn gesprungen werden muss. Die Oberfläche ist immer noch rutschig. Doch dank eines Maschengitters auf der Anfahrt kann das Bike kontrolliert ausgerichtet werden. Danach gilt es das Gleichgewicht zu halten und die Bremsen offen zu lassen.
Da ein Anstieg nicht mehr fahrbar ist, wurde eine neue Option eröffnet. Aufgrund eines kleinen Zwischenfalls muss ich kurz zum Team-Zelt zurück. Es bleiben mir nur noch ganz wenige Minuten, um die restlichen Änderungen zu begutachten und mir einen Eindruck über die Verhältnisse zu machen. So entscheide ich mich dazu, den Rockgarden links liegen zu lassen und direkt zum River Gap zu fahren. Anscheinend wurde hier die B-Linie verändert, sodass diese unterdessen schneller (und sicherer) ist. Die B-Linie beim River Gap hat unterdessen tatsächlich weniger Kurven. Die Anfahrt über das steile Holzbrett hat es aber noch in sich. Zwar wurden Holzlatten auf dem Brett montiert, was mehr Haftung generieren soll. Da es sehr steil ist und unten gleich eine Kurve kommt, rutschen die Räder beim Bremsen trotzdem leicht seitwärts. Unterdessen ist es enorm rutschig. Die erst noch vor kurzem im XCC-Rennen gefahrene Abfahrt hat sich bereits wieder verändert und schon rutsche ich auf einer Wurzel aus… Für Sonntag bleibt mir beim nun ausgelassenen Rockgarden also wohl nichts anderes übrig, als Zeit liegen zu lassen und eine einfachere Linie zu fahren. Ich stufe es als zu riskant ein, im Rennen auf dieser Strecke und bei diesen Bedingungen neue Linien testen zu wollen – auch betreffend Defekte.
Am Sonntag darf ich erstmals aus der zweiten Reihe starten und habe somit eine so gute Ausgangslage wie noch nie zuvor an einem Weltcup. Diese Ausgangslage möchte ich dazu nutzen, erstmals an einem XCO Weltcup in die Top20 zu fahren.
Nach dem Startsignal komme ich nicht gleich ins Pedal – nicht ganz der optimale Start, aber ich halte den Schaden in Grenzen und bin nach der ersten 180°-Kurve nicht allzu schlecht positioniert.
Danach fährt die Fahrerin vor mir aber langsamer als der Rest. Von der rechten Seite werde ich abgedrängt. Es wird immer enger, da ich am Rand fahre, bis ich mit dem Lenker im Netz einhänge und meinen guten Startplatz definitiv vergebe. Später muss ich noch mehrfach bremsen, weil sie vor mir fast einen Sturz produzieren. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als ruhig zu bleiben und einen guten Rhythmus zu finden.
Aufgrund der U23-Rennen sieht die Strecke bereits wieder anders aus als am Tag zuvor. In der ersten Runde muss ich etwas ausfindig machen, wo ich fahren kann.
Eigentlich möchte ich über den Timber Garden fahren. Doch dort läuft jemand, also entscheide ich mich im letzten Moment noch dazu, die B-Linie zu nehmen. In den darauffolgenden Runden fahre ich jeweils über die abgesagten Baumstämme (A-Linie, Timber Garden). In einer Runde stürze ich in der XCC-Abfahrt und muss das Bike aus dem Netz befreien. Dies kostet mich wieder wertvolle Zeit, weil sich das Pedal mehrfach im Netz verfangen hatte.
Sonst komme ich aber immer besser in den Flow und fühle mich von Runde zu Runde stärker.
Am Ende schaut für mich der 19. Rang heraus und somit knacke ich erstmals beim Weltcup in einem XCO-Rennen die Top20!
Auch wenn ich mit meinem Rennen am Sonntag nicht ganz zufrieden sein kann, war das Wochenende doch äusserst erfolgreich für mich. So konnte ich zwei neue persönliche Bestresultate feiern und neue Erfahrungen sammeln. Des Weiteren gibt es noch andere positive Dinge, die ich mitnehmen kann.
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