Der Bikemarathon Lumnezia ist immer ein spezielles Rennen für mich: Einerseits habe ich hier vor zwei Jahren meinen ersten MTB-Wettkampf bestritten, bevor mich das Bike-Fieber definitiv gepackt hat; andererseits findet er in einer meiner Lieblingsregionen, in den Bündner Bergen, statt. Während dem Rennen fahren wir durch eine wunderbare Landschaft, auch wenn ich mich während dem Wettkampf nicht auf diese konzentrieren kann.
Bei der Startnummernausgabe begrüsste uns bereits die Sonne. Nach dem Aufwärmen auf der Rolle ging ich an den Start, als Siegerin des Vorjahres durfte ich das Rennen sogar von der ersten Startreihe in Angriff nehmen und dort erst noch ein kurzes Interview geben.
Als es losging, versuchte ich bereits von Beginn an ein hohes Tempo anzuschlagen: Mein erstes Ziel war es den Bergpreis, einen 5kg Laib Bergkäse, zu gewinnen. Im ersten langen Aufstieg mit rund 700 Höhenmetern fühlte ich mich sehr frisch, doch trotzdem merkte ich gegen Ende des Anstiegs, dass ich aufpassen muss, um keine Krämpfe zu riskieren. In einem Marathon mit dem gemischten Startfeld ist es immer schwierig zu wissen, ob Frauen weiter vorne sind oder nicht. Bis zum höchsten Punkt sah ich zwar keine Frau vor mir, doch das muss nichts heissen…
Beim Bikemarathon Lumnezia ist man gut bedient, mit den Kräften sparsam umzugehen, denn die letzten Kilometer haben es in sich: kurze, aber sehr steile Anstiege und ständige Rhythmuswechsel erfordern Power. Die teilweise sanierten Alpzufahrten sollten zu meinem Verhängnis werden: Zwei Betonspuren zierten den Mergelweg, in den Kurven war der Weg normalerweise ganz betoniert, aber eben nur normalerweise. In einer schnellen Abfahrt auf einem breiten Weg kam eine scharfe Kurve, also bremste ich stark ab, doch anscheinend immer noch zu wenig. Die Kurve war enorm rutschig. Ich spickte regelrecht aus der Kurve hinaus, knallte hart auf dem Boden auf, schlitterte noch kurz über den Boden, bis ich den Boden unter mir nicht mehr spüren konnte und den Abhang hinunterflog. Sofort stand ich wieder auf, holte mein Bike, welches eine Frau in der Hand hatte, stieg auf und wollte losfahren, doch halt: zuerst musste ich den Lenker richten. Diese Frau fragte mich, ob es mir gut gehe und ob es mir nicht schwindlig sei. Ich versicherte ihr, dass alles in Ordnung war, auch wenn ich einen leichten Schmerz spürte. Während dem Rennen spürt man vor lauter Adrenalin Prellungen und Schürfungen praktisch nicht. Und der kurze Schwindel wurde beim Aufsteigen auch besser. Das Losfahren ging dann aber doch recht harzig. Trotzdem versuchte ich, so gut es ging, weiterzufahren und musste das Tempo etwas drosseln. Zu dieser Zeit hatte ich natürlich keine Ahnung mehr, wo die Konkurrentinnen waren und wie ich im Rennen lag. Das Treten der Pedale funktionierte mit der Zeit wieder besser, und ich konnte etwas mehr beschleunigen. In den Abfahrten war der Schmerz nun deutlich spürbar, ich versuchte ihn allerdings zu ignorieren.
Fokussiert auf das Rennen und abgelenkt von den Schmerzen schaute ich einen kurzen Moment auf mein Bein, um mich zu versichern, ob alles in Ordnung ist. Doch als ich wieder hochschaute, stand ein Zaun vor mir. Also hiess es umkehren. Zum Glück bin ich nur für wenige Meter falsch gefahren (und ich war nicht die Einzige). Bevor es in die letzte Abfahrt ging, schaute ich nochmals zurück und konnte keine pinke Nummer der anderen Frauen ausmachen. Somit konnte ich diese etwas ruhiger angehen, um keinen erneuten Sturz zu provozieren und damit die Schmerzen nicht so stark waren. Trotz stark reduziertem Tempo in der Abfahrt war anschliessend noch keine Frau in Sicht. Ich versuchte nochmals alle Kräfte zu mobilisieren, um das Ziel so schnell wie möglich zu erreichen. Als ich ohne weiteren Sturz um die letzte Kurve geschlichen kam, erblickte ich das Ziel und überquerte dieses trotzdem noch als erste Frau.
Im Ziel schauten mich die Personen erschrocken an. Ich dachte mir, dass es sich um meine Wunden handeln muss, doch Schürfungen sind auch nicht so schlimm. Ein wenig später kam Andreas Wieland vom Radiotelevisiun Svizra Rumantscha (RTR) zu mir, um ein Interview mit mir zu führen. Nachdem auch er meine Wunden entdeckt hatte, erklärte ich, wie ich gestürzt bin. Kurz darauf sprach mich Giusep Capeder (OK-Präsident) an, ob ich nicht zu den Samaritern möchte. Ich verneinte, denn ich hatte selbst Desinfektionsmaterial dabei, um allfällige Schürfungen zu pflegen. Dennoch bestand der OK-Präsident darauf, später einen Samariter zu konsultieren. Dies schien sich später als richtiger Schritt zu erweisen. Wahrscheinlich floss immer noch eine Menge Adrenalin durch mich, so dass ich noch nicht verstanden hatte, weshalb mich alle komisch anschauten. Bei der Unterkunft angekommen kam mir mein Teamkollege entgegen und sagte: “Mit dir müssen wir nachher nähen gehen!” Erst als ich die Handschuhe ausziehen wollte, realisierte ich, dass mein ganzer Unterarm auf der Unterseite voller Blut war, im Spiegel sah ich dann auch die tiefe Riss- und Quetschwunde inmitten grossflächiger Schürfungen…
Nach dem Duschen säuberte mir der Samariter die Wunden, musste diese Aktion jedoch kurz unterbrechen, da ich zwischendurch auf das Podest durfte. Dort erfuhr ich, dass ich sowohl den Lumnezia Bikemarathon wie auch alle Sprintwertungen (inkl. Bergpreis) gewonnen habe. Die Freude darüber wurde aber dadurch getrübt, dass mein grosses Ziel, der am nächsten Wochenende stattfindende Weltcup Lenzerheide nun in Gefahr ist.
Auf der Rückfahrt meldeten sich die Schmerzen der frisch genähten Wunde und der anderen Sturzfolgen immer stärker. Mit grosser Wahrscheinlichkeit werde ich somit leider nicht am Heimweltcup teilnehmen können… 🙁
Nachtrag: Der Sturz bzw. die Verletzungen beeinträchtigten mich länger und stärker, als ich das in der ersten Woche befürchtete. Mein Saison-Highlight, den Heimweltcup in Lenzerheide, verpasste ich. Auch die darauffolgenden Wochen kam ich nicht richtig in Schwung und fand meine Form vom Frühjahr leider nicht mehr…
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