Von der Lenzerheide fahren wir am Montagmorgen früh direkt nach Andorra, wo der nächste Weltcup stattfindet: Eine rund 14-stündige Autofahrt wartet auf uns. Ich freue mich sehr auf den nächsten Weltcup in den Bergen: Die Landschaft in Andorra und die Aussicht vom Renngelände sind wunderschön, zudem bin ich in Vallnord an meinem allerersten Weltcup gestartet, bei der U23, und habe nur gute Erinnerungen an dieses Abenteuer. Nach einem misslungenen Rennen in Lenzerheide möchte ich nun in den Pyrenäen wieder für ein Erfolgserlebnis sorgen.
Am Donnerstag besichtige ich das erste Mal die Strecke in Vallnord. Im Vergleich zu 2019 gibt es ein paar Änderungen: Einerseits haben sie den Dualslalom überarbeitet, andererseits gibt es einen komplett neuen Abschnitt kurz vor dem Ziel. Im Allgemeinen beinhaltet die Strecke im Skigebiet steile Aufstiege und schnelle Abfahrten.
Der Untergrund ist häufig lose und bei den sehr staubigen Bedingungen rutschig. Doch ich liebe es, auf alpinem Untergrund zu fahren und die Kulisse ist einfach grossartig!
Die Temperaturen sind auch auf über 1900m.ü.M relativ hoch mit etwa 30°C im Schatten und die Sonne heizt einem so richtig ein. Deshalb klappern wir am Samstag nach der Streckenbesichtigung noch diverse Tankstellen ab, bis wir eine mit „Crushed Ice“ gefunden haben. Das Eis sollte beim Einfahren das Überhitzen verhindern.
Als wir am Sonntag zum Renngelände fahren, möchte ich das „Crushed Ice“ an der am Vortag entdeckten Tankstelle kaufen gehen – doch entweder haben plötzlich alle AndorranerInnen und Touristen doch etwas warm bekommen oder das gesamte Eis wurde bereits von anderen MTB-Teams des Weltcups gehamstert. So überquere ich die Strasse und schaue bei der nächsten Tankstelle vorbei – auch leer! Wir fahren aber nochmals an einer Tankstelle vorbei, machen Halt – und siehe da, es sind doch noch nicht alle Eiswürfel ausverkauft!
Vor dem Rennen fliegen noch zwei Gänsegeier über meinem Kopf vorbei und wünschen mir Glück 😉. Sie werden sicher den besten Überblick über das Renngeschehen haben!
So paradox es auch klingen mag, starte ich mit einem selbst gebastelten „Kühlelement“ – über eine Kühlveste verfüge ich noch nicht – mein Aufwärmprogramm: Die Muskulatur, hauptsächlich Beinmuskulatur, muss auf die bevorstehenden Höchstleistungen vorbereitet werden, während der Rest des Körpers so kühl wie möglich bleiben und nicht überhitzen soll. Doch an meinem selbst-gebasteltem Kühlelement muss ich noch etwas weitertüfteln, oder mir doch einmal eine Kühlveste besorgen, denn fast verliere ich es zu Beginn beim Einfahren. Bis möglichst kurz vor dem Start versuche ich mich mit dem Eis zu kühlen und in der Call up Box zusätzlich den Schatten eines Schirms zu nutzen. Dann werde ich endlich aufgerufen und kann meinen Startplatz beziehen. In wenigen Minuten geht es los.
Ich erwische einen guten Start, – der Mund fühlt sich bereits nach der ersten kurzen Abfahrt vom eingeatmeten Staub trocken an – komme dann aber vor dem und beim „Shimano Natural Garden“ in den Stau und befinde mich auf der Linie, wo langsamer gefahren resp. das Bike langsamer gestossen wird. In der längsten Abfahrt ist es praktisch ein Blindflug. Der aufgewirbelte Staub der vorderen Fahrerinnen verdeckt einem die Sicht auf den Boden, was das Pannenrisiko deutlich erhöht. In der ersten Runde muss ich gefühlt im Schritttempo herunterfahren, aber nicht, weil ich so wenig sehe, sondern weil es vor mir nicht vorwärts geht.
Bei der Skipiste, auch „Big Wall“ genannt, nutze ich dann die Möglichkeit, mich etwas weiter nach vorne zu arbeiten. Trotz Stau kann ich in der ersten Runde viele Positionen gutmachen und liege nach der Startrunde auf dem 31. Rang.
Die aktuellen Bedingungen in Andorra stellen eine besondere Herausforderung dar: Einerseits ist es wichtig, so schnell wie möglich viele Positionen gutzumachen, um so wenig in den Stau zu kommen und so wenig Staub wie möglich einzuatmen, andererseits droht bei einem schnellen Start schnell ein „over pacing“, wovon man sich aufgrund der Hitze und der Höhe kaum mehr erholen kann. In den Aufstiegen fühle ich mich jeweils, als ob ich gebraten würde – trotz Kühlen 🥵!
Vom Renngelände hat man eine ungefähr 300°-Umsicht mit wunderbarer Bergkulisse: Ein fantastisches Panorama, um Rennen zu fahren! Während dem Rennen bleibt aber keine Zeit, um dieses zu geniessen. Dafür versuche ich die Renn-Stimmung aufzusaugen und in Energie umzuwandeln. Als ich um die amtierende spanische Meisterin Rocio del Alba Garcia Martinez fahre, wird es immer besonders laut. Denn es es sind auch viele SpanierInnen und Franzosen resp. Französinnen an den Weltcup in Andorra gekommen.
Ab der zweiten Runde befinde ich mich in einer kleinen Gruppe. Bald können wir zu anderen Fahrerinnen aufschliessen und einige überholen. Doch es gesellt sich auch die eine oder andere Fahrerin zu uns. Meine Gruppe ist allerdings nicht immer als Gruppe erkennbar. Einmal fährt die eine Fahrerin schneller, mal die andere. Mit der Zeit weiss ich auch, wo ich lieber etwas schneller fahre und sie möglicherweise distanzieren kann und kenne somit Stärken und Schwächen der direkten Konkurrentinnen auf dieser Strecke. Mein Ziel ist es ja nicht, nur möglichst als erste der Gruppe ins Ziel zu kommen, sondern noch weitere Positionen gutzumachen. Doch wenn immer Fahrerinnen um einen sind und man nicht ganz allein fahren muss, hilft es auch, sich mehr zu pushen und am Limit zu fahren.
Mit der Zeit merke ich aber, dass mein Hinterreifen nicht mehr so viel Luft enthält. In der einen Abfahrt erwischte ich wohl einen leichten Durchschlag. Zum Glück entweicht nicht zu viel Luft, sodass ich weiterfahren kann. Jedoch muss ich in den Abfahrten etwas vorsichtiger fahren, um nicht einen kompletten Plattfuss zu riskieren.
Mit ein paar Athletinnen zusammen kann ich kontinuierlich Ränge gutmachen. In der letzten Runde erhöhe ich das Tempo nochmals. Es gelingt mir, mich von der Gruppe abzusetzen – endlich habe ich freie Fahrt in den Abfahrten und kann es mehr laufen lassen, auch wenn ich aufgrund der entwichenen Luft im Hinterreifen immer noch mit etwas angezogener Handbremse fahren muss – und in der letzten Runde meine schnellste Rundenzeit herauszufahren.
Auf dem 22. Rang – mein aktuell bestes Weltcupresultat! – überquere ich die Ziellinie und ringe gebeugt über dem Lenker nach der dünnen Höhenluft.
Das Rennen bei der stechenden Sonne auf der iberischen Halbinsel und der Höhe verlangten mir auf der physisch sehr anspruchsvollen Strecke alles ab. So setze ich mich erstmals auf den Boden um durchzuschnaufen. Der Körper fühlt sich an, wie wenn er kochen würde. Zum Kühlen werden im Ziel zum Glück immerhin Wasserflaschen verteilt. Nachdem ich drei davon über meinen Kopf und Rücken geleert habe, fühle ich mich wenigstens wieder etwas besser und kann den Zielraum langsam verlassen.
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